Bauvorhaben brauchen oft länger als erwünscht. 1899 wurde der Kirchenbauverein St. Martin gegründet, in der Hoffnung, schon bald eine neue Pfarrkirche errichten zu können, nachdem die alte St. Martinskirche zu klein geworden war.
Moosach hatte einen Eisenbahn-Haltepunkt. Deshalb siedelte sich viel Industrie an und mit ihr Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung. Moosach gehörte damals seelsorglich zur Mutterpfarrei Peter und Paul in Feldmoching. Dort hatte man sogar die Vorstellung, es würde genügen, die alte Kirche abzureißen und am selben Ort eine neue Kirche aufzurichten. Barock und Rokoko standen damals nicht hoch im Kurs. Zum Glück haben sich Leute gefunden, die eine andere Sichtweise hatten und sich dafür entschieden, einen anderen Standort zu wählen. Aber es hat dann immer noch über ein Vierteljahrhundert gedauert, bis der Neubau vollendet war.
Es waren schwierige Bedingungen: der erste Weltkrieg und seine Folgen, Reparationszahlungen, Materialmangel, Inflation. So ist es eine bemerkenswerte Leistung, dass am 16. November 1924 die Kirchweihe durch den damaligen Erzbischof Kardinal von Faulhaber vollzogen wurde. Den Architektenwettbewerb hatte der spätere Stadtbauarchitekt von München Hermann Leitenstorfer gewonnen. Aus der Not wurde eine Tugend: ein stimmiger, einfacher Bau, an dem alles am richtigen Ort zu sein scheint, den Blick konzentriert auf die Mitte des Geschehens am Altar. Viele Ausstattungsmerkmale kamen teilweise erst Jahrzehnte später dazu und wurden in den beiden Renovierungen in den Sechziger und in den Neunziger Jahren teilweise wieder entfernt, z.B. die Kanzel und die schier erdrückenden Ausmalungen der Apsis.
So erfreuen wir uns heute an einem schlichten Kirchenraum, in dem sich Menschen zu moderner und aussagekräftiger Feier des Gottesdienstes versammeln können, unterstützt durch eine viel gelobte Akustik und eine der besten Orgeln in ganz München. Die Pfarrkirche St. Martin mit ihrem Kirchturm wird hoffentlich auch die nächsten hundert Jahre ein Markierungspunkt in unserem Stadtviertel bleiben. Trotz aller Krisen der gesellschaftlichen und kirchlichen Gegenwart steht sie als Versammlungsort für zahlreiche Menschen. Wir sind immer noch eine sehr große Pfarrei, in der sich mehrere hundert Menschen in verschiedensten Ehrenämtern betätigen und so das religiöse, als auch das sozial-caritative und kulturellgesellschaftliche Leben in unserem Stadtviertel bereichern.
St. Martin ist dabei auch gefordert als Zentrum des vor zehn Jahren neu gegründeten Pfarrverbands Moosach-Olympiadorf. Dazu gehören die Pressestadt und das ehemalige olympische Dorf mit eigenen Akzenten, vor allem auch in der Ökumene. Unser gegenwärtiges Sorgenkind ist St. Mauritius mit leider maroder Bausubstanz. Die Bauschäden übersteigen inzwischen das geschmälerte Bauvermögen der Erzdiözese. Da brauchen wir kreative Ideen für interessierte Investoren bei gleichzeitiger Verkleinerung des Standorts für die kirchliche Nutzung. St. Martin steht weiterhin offen als Ort der Gemeinschaft, für das kulturelle und soziale Leben in Moosach und immer gerne als geeigneter Rückzugsort für Stille, Abstand vom hektischen Alltag und das Gespür für Transzendenz. Die Alte St. Martinskirche mit dem wieder in Betrieb genommenen Friedhof bleibt zusätzlich ein wertvolles Juwel unserer Ortsmitte. Auf beide Kirchen dürfen wir recht stolz sein!
Martin Cambensy, Pfarrer