So gesehen: Der Rangierbahnhof

Der Rangierbahnhof von der Fußgängerbrücke aus gesehen

Der Rangierbahnhof, jene Kulturlandschaft zwischen Moosach und den ausgedehnten Prärien des Nordens, ist sicher nicht nur für den Autor dieser Zeilen ein Sehnsuchtsort.

Jede Passage über die von Kraftfahrzeugen verschonte Brücke zwischen dem urbanen Hier und dem Beginn der pappelgesäumten Allee jenseits des menschengeschaffenen Gebirges erfüllt die Sinne. Es sind die Erinnerungen an ungezählte Sommer, da der Rangierbahnhof erst Kulisse der Vorfreude auf einen satten Tag am Badesee war, um abends anzuzeigen, dass die Kühle der städtischen Residenz nicht mehr weit ist.

Jedes Jahr und jeden Tag lädt das stete, wie von Geisterhand geleitete Ablaufen der Wagen, deren Summen sich mit dem Waldesrauschen der Allacher Lohe zur höchsten Harmonie eines meditativen Rituals vereint, zum Träumen ein. Wie wäre es, wenn sich die in langer Reihe anstehenden Sorgen des Alltags auch von selbst im sanften Klang der Gleisharfe sortieren würden?

Wie bei Eichendorff möchte sich die Seele zum Flug erheben, wenn der Stückgutwagen mit der Aufschrift „Ferrovie dello Stato“ im Säuseln seines Bremsens ein weiches Buon giorno! in die morgendliche Stille des Schwellenmeeres haucht. Der flache Waggon mit langen Bauteilen der französischen SNCF erinnert jede und jeden daran, dass der Zug der europäischen Friedensarchitektur keine Endstation haben darf.

Die Jahreszahlen auf den Brücken zwinkern Dir voll Ironie zu. Während in jenen Jahren in Berlin „The Wall“ den Spechten der wendezeitlichen Freiheit zum Opfer fiel, wurden hier Wälle aufgeschüttet, um den Frieden der Peripherie zu bewahren und neue Lebenswelten zu schaffen, für Spechte und andere Arten.

Zugegeben – es gehört schon eine besondere Sicht der Dinge dazu, dem Rangierbahnhof so viel „Eisenbahnromantik“ abgewinnen zu können. Ein eigenwilliger, völlig ernsthafter Luxus, den ich mir gönne. Zumal dieser romantische Platz aktuell und in den kommenden Jahren erhebliche Änderungen erfahren wird: Derzeit entstehen östlich der großen Brücke der Dachauer Straße neue Gleisanlagen. Sie ersetzen Kapazitäten, die am Ostbahnhof wegen der Baumaßnahmen für die 2. Stammstrecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Vor allem aber wird westlich der Brücke, wo sich heute das Betriebswerk der Bahn befindet, bis Anfang der 2030er Jahre ein Terminal entstehen, in dem Container von LKW auf Eisenbahnwaggons umgeladen werden.

Der weithin konsensfähige Wunsch, dass mehr Güter auf die Schiene sollen, bedarf eben auch der ganz konkreten Orte, wo genau das, nämlich der sogenannte „Umschlag“, erfolgt. Freilich werden dadurch Verkehre ausgelöst, die bei den wenigsten heute schon romantische Gefühle auslösen. Es wird auch Aufgabe der lokalen Politik, namentlich des Moosacher Bezirksausschusses, sein, in allen Phasen der Planung und Umsetzung die örtlichen Bedürfnisse, Sorgen und Nöte zu artikulieren. Das wird sicher ein anspruchsvoller und bisweilen konfliktträchtiger Prozess, eine zwangsläufige Begleiterscheinung jeglicher Infrastrukturprojekte. Gleichwohl sind unter den vielen, die heute auf den Wegen des Rangierbahnhofs joggen, radeln und spazieren gehen, einige derer, die damals glaubten, die Anlage würde zur kaum überwindbaren, lärmenden Schneise im Münchner Norden. Es muss ja nicht immer gleich so romantisch sein, dass ein Container mit der Aufschrift „Limoni“ in der Nase der zufälligen Betrachter nach Zitronen duftet.

Florian Simonsen